Kröten, Molche und Grasfrösche stehen in den Startlöchern zum Ablaichen. Und auch viele Helfer der NABU Ortsgruppe Münsingen-Mittlere Alb und des Schwäbischen Albvereins sind an diesem Morgen nach Münsingen-Buttenhausen gekommen. Jeder Helfer bekommt jetzt eine Leuchtweste, was der eigenen Sicherheit dient. Denn der hier geplante Aufbau eines mehrere Hundert Meter langen Amphibienschutzzaunes ist nicht ganz ungefährlich. Die Helfer arbeiten am direkten Straßenrand, der Hang ist steil und lässt nur wenig Platz zwischen Helfern und vorbeifahrenden Autos, Traktoren und Motorrädern. Spaten, Schaufeln, große Rollen mit grünem Nylonzaun, Metallstäbe, Plastikhütchen und Kästen mit Wasser für die Helfer werden ausgeladen. Schon früh am Morgen hat Gerhard Mayer mit dem Traktor und einem historischen, einscharigen Pflug samt Helfer eine Furche entlang des Hangs gezogen.
Die Straße „Wasseräcker“ ist wie immer der Treffpunkt. Der Straßenname „Wasseräcker“ in Münsingen-Buttenhausen verrät schon, dass hier früher sehr feuchte Äcker waren. In der Tat läuft hier im Tal die Große Lauter durch, an der sich ein Teich befindet und auch ein Altarm der Lauter mit stehendem Gewässer parallel zur Ortsausgangsstraße. Zusammen mit dem nahegelegenen Waldrand ein idealer Lebensraum für Amphibien also. Eigentlich. Denn sie müssen zum Ablaichen vom Waldrand über die Ortsdurchgangsstraße, die Zwiefalter Straße, oder weiter ortsauswärts die Kreisstraße 6967 überqueren, um an die Laichgewässer zu kommen. Und natürlich auch wieder zurück. Das tun jedes Jahr tausende Amphibien. Auf Initiative des im Abzweig Wasseräcker wohnenden, ehemaligen Mitglieds des Schwäbischen Albvereins und des NABUs Werner Schramm (verstorben 2023) wurde aufgrund der vielen jährlich überfahrenen Kröten, Frösche und Molche der Amphibienschutzzaunbau initiiert. Viele Aktive aus der Ortsgruppe Münsingen-Mittlere Alb sowie aus dem Schwäbischen Albverein haben über Jahrzehnte geholfen, den Zaun rechtzeitig zur Laichsaison auf- und wieder abzubauen und dazwischen zweimal täglich die Amphibien über die Straße zu tragen, die in die ca. 55 Sammeleimer gefallen sind. Jede Kröte, Molch und Frosch wird dabei akribisch notiert und so haben die hier Ehrenamtlichen über Jahre hinweg einen Beitrag zur Bürgerwissenschaft, auf Neudeutsch „Citizen Science“ geliefert und die Notwendigkeit dokumentiert, dass den selten gewordenen Amphibien hier geholfen werden muss.
Jürgen Roitzsch, Biologe, Landschaftspfleger, NABU-Vorstand und seit Jahren der „NABU Einsatzleiter“ für dieses Zaunbauprojekt, belehrt die jetzt eingetroffenen Helfer, auf ihre Sicherheit in Bezug auf den Straßenverkehr zu achten und weist auf wichtige Aspekte beim Zaunbau hin: „Die Löcher für die Eimer müssen tief genug gegraben werden und die Eimer bodeneben eingesetzt werden. Achtet drauf: Es darf keine Kante entstehen! Sonst fallen die Amphibien nicht in die Eimer. Der Zaun muss dann bündig an die Eimer grenzen, damit die Tiere nicht am Eimer vorbeilaufen.“ Es gibt viel zu beachten. Der vorbereitete Graben muss händisch oder mit Handschaufel gereinigt und teilweise verbreitert werden. Für die betonierten Stellen der Straßenreflektoren werden Steine gesammelt, die an diesen Stellen den Zaun fixieren, wo er nicht eingegraben werden kann. Der Zaun selbst muss leicht bergaufwärts ragen, damit die Tiere nicht daran hochklettern können. Und er muss stramm sein.
Die Gruppe teilt sich in 2 Hälften – Vom Wasseräcker ortsauswärts und eine Gruppe ortseinwärts bis zur Hangmauer. Stehend mit Spaten, oder knieend mit Handschaufel oder ganz mit den Händen arbeiten sich die Helfer nun mehrere Hundert Meter Stück für Stück vor. Mit jedem Meter wird es mühsamer, da die Kräfte mit der Zeit schwinden. Als der Graben und die Eimerlöcher fertig sind, werden die Zaunrollen ausgerollt und die Stützhaken verteilt. Erde an den Knien und Erdklumpen an den Handschuhen von Andrea Klemer, die heute mit ihrem Mann Michael und den beiden Kindern Lavinia und Elis dabei ist, machen ihr nichts aus: „Das gehört dazu, wenn man hier mitmacht, der Boden ist heute einfach recht feucht. Aber wir freuen uns am Sonnenschein und an den angenehmen Temperaturen, da haben wir echt Glück.“ Lavinia hat derweil eine grüne Raupe entdeckt und rettet die ausgegrabenen Regenwürmer, während ihr Bruder Elis die vom Biber gefällten Haselnusstriebe neben der Straße inspiziert. Auch eine Amphibienzaunbauaktion lässt Zeit für Naturerlebnisse.
Derweil passieren viele Autos und auffallend viele Traktoren und Motorräder die Helfer. Erstmalig dieses Jahr wurde vom Landratsamt eine Geschwindigkeitsreduzierung an der Zaunstrecke auf außerorts 30km/h angeordnet, die an diesem Aufbautag die Helfer besser schützen soll. Laut einiger Helfer sei ein großer Unterschied zu den Vorjahren zu merken, in denen die Autos bis zu 70km/h bzw. 100 km/h schnell fahren durften – dieses Mal sind die meisten langsamer und rücksichtsvoller. Das gilt auch für die meisten Motorradfahrer. Auch wenn einzelne nach dem Aufhebungsschild scheinbar extra Vollgas geben und viel Lärm machen, der an den Hängen des Lautertals widerhallt. Die großen Traktoren, die meist zu einer nahegelegenen Biogasanlage gehören, fahren auch langsam und nehmen Rücksicht, was den Helfern an diesem Tag die Arbeit leichter und sicherer macht. Nach dem Aufbautag gilt dann für die Dauer der Laichsaison 50km/h in den Nachtstunden, also zwischen 19 Uhr und 7 Uhr morgens. Die Amphibien sind nicht nur durch direktes Überfahren gefährdet, sondern -was wesentlich weniger bekannt ist- durch das sogenannte Baro-Syndrom, bei dem der unterschiedliche Druck, der durch vorbeifahrender Fahrzeuge ausgelöst wird, dazu führt, dass am Straßenrand sitzenden Tiere so starke Gewebeverletzung erleiden, dass sich innere Organe durch das Maul herausstülpen und Lungen zerreißen. Die Folge ist ein oft langsamer, qualvoller Tod. Deshalb ist es wichtig, besonders langsam an den Amphibien vorbeizufahren, eigentlich ist Tempo 30 da schon die Obergrenze. Die Ehrenamtlichen des NABU erhoffen sich daher für die begrenzte Laichzeit Verständnis und Rücksichtnahme der Verkehrsteilnehmer gegenüber den Tieren und vor allem auch gegenüber den in der Dunkelheit die Straße überquerenden Helfern.
In den Morgen- und Abendstunden sind dann in den nächsten Wochen die eingeteilten Helfer unterwegs, um die Tiere über die Straße zu tragen. Zwischen dem NABU und der Geschäftsstelle Biosphärengebiet Schwäbische Alb gibt es auch eine Kooperation: So kommt in Kürze die Junior Ranger Gruppe mit Kindern und Jugendlichen, begleitet von einer Rangerin, und erhält eine Führung zum Amphibienschutzzaun und zu den Teichen und Tieren. „Junge Menschen und Kinder für die Natur zu sensibilisieren und für die Amphibienhilfe zu begeistern ist schon immer ein Anliegen des NABU“, erläutert Helmut Attinger, 1. Vorsitzender der NABU Ortsgruppe Münsingen-Mittlere Alb.
Nach drei Stunden kräftezehrender Arbeit ist eine Pause angesagt: Diese findet an der Scheune von Alfred Heideker statt, Erster Vorstand der Schwäbischen Albvereinsgruppe Buttenhausen, und dient der Stärkung und dem Austauschs untereinander. Es bilden sich hier an den Biertischen auch neue Freundschaften und Netzwerke. Leberkäsweckle und selbstgebackener Hefekranz laden die „Akkus“ der ehrenamtlichen Helfer für die zweite Schicht wieder auf. Bei beiden Gruppen fehlen jetzt jeweils noch ca. 50 bis 100 m Zaun. Endlich ist der letzte Meter geschafft, die letzte Zaunstange gesetzt, das letzte Zaunhütchen montiert. Dann fehlt nur noch die Endkontrolle und das Säubern der Randbereiche der Straße mit einem Besen. Gegen 15 Uhr steht der Zaun. Bis voraussichtlich Mitte oder Ende April.
Die Helfer zählten im Jahr 2023 insgesamt 2257 Kröten, Grasfrösche, Berg-, Teich- und Fadenmolche, ein Rückgang im Vergleich zu der Zahl von 3146 im Jahr davor. Annamaria Eisenschmid aus Buttenhausen, Mitglied des NABU-Vorstands, sammelt die Zahlen und führt darüber Buch. „Leichte Abweichungen sind über die Jahre normal, dennoch wird dieser Rückgang natürlich auch mit einer gewissen Sorge von uns beobachtet“, kommentiert sie die Zahlen der letzten beiden Jahre. „Wir freuen uns ungemein auf die neue Amphibienschutzanlage, die bald gebaut werden soll“, so Eisenschmid weiter, „das wird eine große Erleichterung für unsere Helfer und bietet dann auch den zurückwandernden Amphibien einen Schutz. Der fehlt bisher, da der mobile Zaun nur auf einer Seite gebaut ist.“ Die Amphibienschutzanlage, im Fachjargon „Leiteinrichtung“ genannt, ist bereits genehmigt, die Pläne erstellt. 2025 soll, nach letzten Informationen, der Bau beginnen. Für die Genehmigung musste der NABU die jahrelangen Aufschriebe der Amphibienrettungen als Grundlage des Antrages den Behörden vorweisen. Die den Projektantrag schließlich positiv beschieden. Ein großer Erfolg für den ehrenamtlichen Naturschutz in diesem Bereich. Über Tunnels sollen die Amphibien dann unter der Straße hindurchlaufen können. Ohne dass der Zaun aufwendig manuell aufgebaut und ohne dass Tiere über Wochen hinweg über die Straße getragen werden müssen.
Insgesamt waren an diesem Tag 24 Helfer im Einsatz, drei Generationen zwischen zwölf und über 70 Jahren... ein tolles Miteinander und die Freude für die sinnvolle Arbeit war allen anzumerken. „Wir hoffen nun, dass die neue Leiteinrichtung möglichst rasch kommt,“, sagt Helmut Attinger vom örtlichen NABU abschließend. Doch die Arbeit geht den NABU Ehrenamtlichen auch dann nicht aus: Es verbleiben noch viele weitere Projekte wie der Amphibienschutz in Zwiefalten, der Schmetterlingsschutz in den Wacholderheiden in Rietheim und im Lautertal, die Pflege eines Waldstücks bei Hayingen und des artenreichen NABU-Gartens in Münsingen. 2024 bietet die NABU Ortsgruppe monatlich spannende Führungen für Jedermann und natürlich der jährliche Nistkastenbau für Kinder an. Interessierte sind dazu - und natürlich zu den NABU-Monatssitzungen -herzlich eingeladen.